Das Belegarztwesen – ein Zukunftsmodell für die sektorenverbindende Versorgung?

Die Sicherstellung der ärztlich-medizinischen Versorgung über die Schnittstelle ambulant-stationär hinweg ist eine entscheidende Herausforderung für die Gesundheitspolitik der laufenden Legislaturperiode. Hierzu hat die neue Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, dass sie „die Zusammenarbeit und Vernetzung im Gesundheitswesen“ ausbauen und „zur Erreichung einer sektorenübergreifenden Versorgung nachhaltige Schritte“ einleiten will.

Das Belegarztwesen war bis zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts in Deutschland die häufigste Versorgungsform für stationäre Patienten. Belegärztinnen und -ärzte leisteten dabei die bis heute gewünschte idealtypische Versorgung aus einer Hand. Sie waren und sind Protagonisten einer modernen sektorenverbindenden Versorgung.
Leider belegen die Zahlen der letzten Jahrzehnte die Verdrängung des patientenfreundlichen und rechtssicheren, aber unterfinanzierten Versorgungssystem des Belegarztwesens durch das vermeintlich effektivere duale System mit der strikten Trennung der Sektoren an der Schnittstelle zwischen ambulanter und stationärer Versorgung. Informationsverluste am Übergang zwischen Klinik und Praxis sowie ein dadurch erzeugter Mehraufwand bei Diagnostik und Therapie waren die Folge. Versuche, die intersektorale Versorgung wieder zu beleben durch den Einkauf von Leistungen für das Krankenhaus über Honorarärzte oder durch die Einstellung von Vertragsärzten in Teilzeit mit (im Vergleich zum Belegarzt) deutlich besserer finanzieller Ausstattung, hatten nie dieselbe Akzeptanz wie belegärztliche Angebote. Und die damit einhergehenden Probleme sind spätestens seit der Einführung des Paragraph 299 a und b StGB (Bestechlichkeit im Gesundheitswesen) offenkundig.

Es ist schwer nachvollziehbar, dass Kritiker hierzulande das Belegarztwesen als überholt bezeichnen trotz klarer Vorteile wie vor allem den sorgfältigen Umgang mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen im Gesundheitssystem. Befremdlich ist dies auch, da weltweit ähnliche Organisationsstrukturen einer intersektoralen Versorgung das Rückgrat der Patientenbetreuung bilden. Wir verstehen auch nicht, warum das Belegarztwesen bei den „Playern“ im Gesundheitswesen nicht mehr Aufmerksamkeit erfährt im Vergleich zu anderen intersektoralen Versorgungsansätzen - und dies trotz wiederholter wissenschaftlich, juristisch und ökonomisch nachgewiesener Vorteile
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Hier seien nur exemplarisch die Bundesempfehlung gemäß § 86 SGB V der Spitzenverbände der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zur Finanzierung der Einführung eines Kapitels für belegärztliche Leistungen (Kapitel 36) in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) zum 01. April 2007, das Gutachten Prof. Nagel 2017, die Analyse von Dr. Hahn (Ocunet 2017), ZENO Workshops, vor wenigen Tagen im Rahmen eines ZI-Workshop zur intersektoralen Vergütung (https://www.zi.de/veranstaltungen/zi-forum/12-juni-2018/), etc., erwähnt.

Aufgrund knapper werdender Ressourcen und eines kontinuierlichen Bettenabbaus trotz des demographischen Wandels bei zunehmender Ambulantisierung wird der medizinischen Versorgung im intersektoralen Raum eine stetig wachsende Bedeutung zukommen. Daher ist es nur konsequent, wenn das Belegarztwesen als sektorenverbindende und schlanke Versorgungsform wieder stärker in den Fokus rückt. Der Bundesverband der Belegärzte e.V. begrüßt es daher ausdrücklich, dass der Deutsche Ärztetag, die Bundesärztekammer, der Gemeinsame Bundesausschuss und Standesorganisationen wie der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands eine Rückbesinnung auf das Belegarztwesen fordern und die Kassenärztliche Bundesvereinigung das Belegarztwesen ausbauen will.

Es wird jedoch noch weitere Mitstreiter brauchen, um für das Belegarztwesen mit seinen Leistungsmöglichkeiten eine Wiederbelebung zu erwirken. Hier ist es wichtig, dass die Rahmenbedingungen des Belegarztwesens denen von Hauptabteilungen in Krankenhäusern angeglichen werden. Dazu gehören nicht nur die Vergleichbarkeit der Leistungen (einheitlicher OPS-Katalog, die sektorenübergreifende Qualitätssicherung (Lebenslange Arztnummer (LANr) für alle Ärzte in Klinik und Praxis, Aufhebung des Erlaubnisvorbehaltes für Belegärzte, etc.), sondern auch die der Vergütung. Es muss eine verlässliche und leistungsgerechte Honorierung für die Belegärzte wie für die Krankenhäuser mit Belegabteilungen geben. Ziel sind mehr „bettenführende Facharztpraxen“ – und dazu zählen wir auch Intersektorale Facharztzentren. Diese kooperativen Belegarztstrukturen mit drei oder mehr fachgleichen Belegärzten gewährleisten schon heute die Patientenversorgung rund um die Uhr. Mit der bruchlosen Versorgung der Patienten über die sogenannten Sektorengrenzen hinweg kommt man zugleich den Wünschen des ärztlichen Nachwuchses entgegen. Junge Ärztinnen und Ärzte wollen sich häufig nicht mehr auf einen Sektor festlegen und verlangen Teamarbeit. Das kooperative Belegarztwesen kann auch hierin perspektivisch attraktiv sein.

Dr. A. W. Schneider

Vorsitzender des Bundesverbands der Belegärzte