Ambulantisierung um jeden Preis? – Konsequenzen auch für die belegärztliche Tätigkeit

Ein Artikel von Priv.-Doz. Dr. rer. medic. Ursula Hahn und Dr. med. Andreas W. Schneider (19.01.2023)

EBM-Änderungen zur „Förderung des Ambulanten Operierens“

Am 14.12.2022 hat der Bewertungsausschuss Maßnahmen zur Förderung des Ambulanten Operierens via EBM beschlossen, die zum 1.1.2023 in Kraft getreten sind 2022-12-14_ba620_8.pdf (institut-ba.de). Der Beschluss gliedert sich in die Teile A-D. Explizit belegärztlich Stationäres kommt nur in Teil D vor, aber da ambulantes Operieren und belegärztliche Versorgung kommunizierende Röhren sind, müssen wir auch die anderen Teile im Blick behalten.  Jedes Fach muss für sich prüfen, in wieweit es von den Änderungen betroffen ist und diese getrennt bewerten.

Der Inhalt in Kürze:

Teil A:

Einführung von Kalkulationszeiten / Reduktion von Prüfzeiten / Anpassung (Anhebung und Absenkung) der Punktwerte für zahlreiche EBM GOP des Kapitels 31 (ambulantes Operieren) und Kapitel 36 (belegärztliches Operieren). Fachübergreifend wurden die EBM-GOP mit niedrigen Eingriffszeiten und Schweregraden – typischer Weise besonders volumenstarke GOPs – abgewertet zu Gunsten der komplexeren Prozeduren, die eine höhere Bewertung erhielten.

Teil B:

Förderung der Ambulantisierung mittels 7 verschiedener OPS-abhängiger Zuschlagsziffern mit einer Bewertung von 223 bis (immerhin) 1.923 Punkten. Damit sollen „deutliche Anreize zur Förderung der notwendigen und gesetzlich geforderten Ambulantisierung im Bereich ambulant erbringbarer operativer Eingriffe“ gesetzt werden.

Teil C:

Bei ambulanter Operation gibt es eine neue Zuschlagsziffer (31530) zu den postoperativen Überwachungsziffern (31501 bis 31507), die „im unmittelbaren Anschluss an die postoperative Überwachung nach Erbringung einer Leistung des Abschnitts 31.2 berechnungsfähig ist“, aber nur in einigen Fällen greifen (Kinder bis 12, Erwachsene ab 70 mit geriatrischen Versorgungsbedarf, bestimmten Krankheiten oder Operationen der Kategorien 5 – 7 (also die ganz schweren Eingriffe)) und an Zeitvorgaben gebunden sind.

Teil D:

Neuaufnahme von OPS in Anhang 2 des EBM mit Referenzierung auf Kapitel 31 und 36.

 

Neufassung des Vertrags nach § 115b Absatz 1 SGB V – Ambulantes Operieren, sonstige stationsersetzende Eingriffe undstationsersetzende Behandlungen im Krankenhaus –(AOP-Vertrag)

Am 22.12.2022 wurde die Neufassung des AOP Vertrags https://www.kbv.de/media/sp/AOP-Vertrag.pdf samt Anlage 1 „AOP Katalog“  https://www.kbv.de/media/sp/AOP-Vertrag_Anlage_1.pdf und Anlage 2 „Kontextfaktoren“ https://www.kbv.de/media/sp/AOP-Vertrag_Anlage_2.pdf veröffentlicht, auch dieser Vertrag trat zum 1.1.2023 in Kraft.

Neue Leistungen im AOP Katalog

Zusätzlich zu neuen operativen Leistungen in Anlage 1, Abschnitt 1 des AOP Vertrags (entspricht Teil D der Bewertungsausschussbeschlusses, siehe oben) wurden zum 1.1.2023 eine Reihe nicht-operative Proceduren neu nach Anlage 1, Abschnitt 2 des AOP Vertrags aufgenommen.

Schweregraddifferenzierung

Im Vorgriff auf eine Systematik der Schweregraddifferenzierung wurden Rezidiv- bzw. Reoperationen neu geregelt (§ 10 AOP Vertrags) Rezidiv- beziehungsweise Reoperationen mit „Wiedereröffnung eines Operationsgebietes zur Behandlung einer Komplikation, Durchführung einer Rezidivtherapie oder der Durchführung einer anderen Operation in diesem Operationsgebiet“ können zusätzlich zur spezifischen EBM-GOP die jeweils zugehörige Simultan-OP-Ziffer "für den zusätzlichen Zeitaufwand" "abgerechnet werden. Merkwürdiger Weise wurde die Leistungslegendierung für die Simultaneingriff-GOP im EBM Online noch nicht angepasst. "Für die Abrechnung des Zuschlags geben Ärzte den OPS-Zusatzkode 5-983 Reoperation an."

Begründung von stationärer Durchführung – Kontextfaktoren

Im neuen AOP Vertrag ist der früher gelistete Unterschied nach "i.d.R. ambulant" und "ambulant und stationär" entfallen. (§ 3 AOP Vertrag neu). Eine stationäre Durchführung muss jetzt entlang von s.g. Kontextfaktoren begründet werden (§ 8 AOP Vertrag neu „Allgemeine Tatbestände, bei deren Vorliegen die stationäre Durchführung von Leistungen gemäß Anlage 1 erforderlich sein kann (Kontextfaktoren)“). GKV Spitzenverband und DKG haben sich auf einen Katalog an Kontextfaktoren geeinigt, der als Anlage 2 des AOP Vertrags veröffentlicht wurde. Kontextfaktoren können Diagnosen (ICD), (zusätzlich durchzuführende) Operationen und Prozeduren (OPS), Diagnose respektive OPS-abhängig nach spezifischen Skalen anzugebenden kognitiven und motorischen Störungen etc. sein.

So soll z.B. motorische Störungen nach Barthel Index kodiert werden; dieser Index wird aber nicht systematisch von fachärztlichen Belegärzten erhoben. Im EBM taucht er nur als Hausärztlich-geriatrisches Basisassessment (EBM-GOP 03360) und als Physikalisch-rehabilitative Funktionsdiagnostik (EBM-GOP 37332) auf. Internistische Kontextfaktoren sind eher streng gefasst (Diabetes Mellitus ist z.B. nur dann ein Kontextfaktor, wenn "entgleist").

In jedem Fall ist das Vorliegen eines oder mehrerer Kontextfaktoren für die Begründung einer stationären Durchführung zu dokumentieren. "Liegen abweichend von den in Anlage 2 genannten Kontextfaktoren medizinische Gründe oder soziale Gründe vor, die dazu führen, dass die Versorgung des Patienten in der Häuslichkeit nicht sichergestellt werden kann und dadurch der medizinische Behandlungserfolg gefährdet ist, so sind diese Gründe bei einer stationären Durchführung der Leistung nach Anlage 1 fallindividuell darzustellen."

Wie bereits in früheren Versionen festgelegt, bleibt auch im neuen AOP Vertrag die endgültige Entscheidung zwischen der ambulanten oder stationären Versorgungsform in der Hand des behandelnden Arztes (§ 2 Abs. 1). Außerdem muss wie bisher „sich in jedem Fall der verantwortliche Arzt vergewissern und dafür Sorge tragen, dass der Patient nach Entlassung aus der unmittelbaren Betreuung des behandelnden Arztes auch im häuslichen Bereich sowohl ärztlich als gegebenenfalls auch pflegerisch angemessen versorgt wird. Die Entscheidung ist zu dokumentieren.“ (§ 2 Abs. 2).